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  • EINLEITENDE BEMERKUNGEN

PRESSEKONFERENZ

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB,
Luis de Guindos, Vizepräsident der EZB

Frankfurt am Main, 21. Januar 2021

Sehr geehrte Damen und Herren, der Vizepräsident und ich freuen uns sehr, Sie zu unserer Pressekonferenz begrüßen zu dürfen. Wir werden Sie nun über die Ergebnisse der heutigen Sitzung des EZB-Rats informieren, an der auch der Exekutiv-Vizepräsident der Kommission, Herr Dombrovskis, teilgenommen hat.

Der Beginn der Impfkampagnen im gesamten Euroraum ist ein wichtiger Meilenstein bei der Bewältigung der derzeitigen Gesundheitskrise. Dennoch birgt die Pandemie nach wie vor ernsthafte Risiken für das Gesundheitswesen und für die Wirtschaft des Euroraums sowie die Weltwirtschaft. Der erneute Anstieg der Infektionen mit dem Coronavirus (Covid-19) sowie die restriktiven und andauernden Eindämmungsmaßnahmen, die in vielen Ländern des Euroraums gelten, behindern die wirtschaftliche Aktivität. Die Aktivität im verarbeitenden Gewerbe kann sich weiterhin gut behaupten. Im Dienstleistungssektor jedoch wurde sie massiv beeinträchtigt, wenn auch in geringerem Maße als während der ersten Welle der Pandemie Anfang 2020. Die Produktion dürfte im vierten Quartal 2020 zurückgegangen sein, und die Verschärfung der Pandemie birgt Abwärtsrisiken für die kurzfristigen Konjunkturaussichten. Die Inflation bleibt vor dem Hintergrund der schwachen Nachfrage und der deutlichen Unterauslastung an den Arbeits- und Gütermärkten weiterhin sehr niedrig. Insgesamt bestätigen die aktuellen Daten unser bisheriges Basisszenario, das von ausgeprägten kurzfristigen Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft und einer anhaltenden Inflationsschwäche ausgeht.

In diesem Umfeld sind umfangreiche geldpolitische Impulse nach wie vor unerlässlich, um während der Pandemie die günstigen Finanzierungsbedingungen für alle Wirtschaftssektoren aufrechtzuerhalten. Dies wird dazu beitragen, Unsicherheit zu verringern und Vertrauen zu stärken. So werden Konsumausgaben und Unternehmensinvestitionen gefördert, wodurch die Konjunktur unterstützt und mittelfristige Preisstabilität gewährleistet wird. Zugleich herrscht weiterhin große Unsicherheit, auch im Hinblick auf die Entwicklung der Pandemie und das Tempo bei den Impfkampagnen. Wir werden die Wechselkursentwicklung mit Blick auf ihre möglichen Auswirkungen auf die mittelfristigen Inflationsaussichten auch weiterhin beobachten. Wir sind nach wie vor bereit, alle unsere Instrumente gegebenenfalls anzupassen, um sicherzustellen, dass sich die Teuerungsrate – im Einklang mit unserer Verpflichtung auf Symmetrie – auf nachhaltige Weise unserem Ziel annähert.

Vor diesem Hintergrund haben wir beschlossen, unseren sehr akkommodierenden geldpolitischen Kurs nochmals zu bestätigen.

Erstens beschloss der EZB-Rat, die Leitzinsen der EZB unverändert zu belassen. Wir gehen davon aus, dass sie so lange auf ihrem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden, bis wir feststellen, dass sich die Inflationsaussichten in unserem Projektionszeitraum deutlich einem Niveau annähern, das hinreichend nahe, aber unter 2 % liegt, und dass sich diese Annäherung in der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation durchgängig widerspiegelt.

Zweitens werden wir unsere Ankäufe im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) fortsetzen. Dieses hat einen Gesamtumfang von 1 850 Mrd €. Wir werden die Nettoankäufe im Rahmen des PEPP mindestens bis Ende März 2022 und in jedem Fall so lange durchführen, bis die Phase der Coronavirus-Krise nach Einschätzung des EZB-Rats überstanden ist.

Die Ankäufe im Rahmen des PEPP werden durchgeführt, um während der Pandemie die günstigen Finanzierungsbedingungen aufrechtzuerhalten. Wir werden Ankäufe flexibel in Abhängigkeit von den Marktbedingungen und mit dem Ziel durchführen, eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen zu vermeiden, die nicht damit vereinbar ist, dem Abwärtsdruck der Pandemie auf die projizierte Inflationsentwicklung entgegenzuwirken. Darüber hinaus wird die Flexibilität der Ankäufe über den Zeitverlauf, die Anlageklassen und die Länder hinweg weiterhin die reibungslose Transmission der Geldpolitik unterstützen. Wenn mit Ankäufen, die den Gesamtumfang des PEPP über den Zeithorizont der Nettoankäufe hinweg nicht voll ausschöpfen, günstige Finanzierungsbedingungen aufrechterhalten werden können, muss dieser Gesamtumfang nicht vollständig genutzt werden. Genauso kann der Gesamtumfang erforderlichenfalls auch rekalibriert werden, um günstige Finanzierungsbedingungen aufrechtzuerhalten und so dem negativen Schock der Pandemie auf die Inflationsentwicklung entgegenzuwirken.

Wir werden die Tilgungsbeträge der im Rahmen des PEPP erworbenen Wertpapiere mindestens bis Ende 2023 weiterhin bei Fälligkeit wieder anlegen. Das zukünftige Auslaufen des PEPP-Portfolios wird in jedem Fall so gesteuert, dass eine Beeinträchtigung des angemessenen geldpolitischen Kurses vermieden wird.

Drittens werden die Nettoankäufe im Rahmen unseres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme – APP) in einem monatlichen Umfang von 20 Mrd € fortgesetzt. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die monatlichen Nettoankäufe von Vermögenswerten im Rahmen des APP so lange fortgesetzt werden, wie dies für die Verstärkung der akkommodierenden Wirkung unserer Leitzinsen erforderlich ist, und dass sie beendet werden, kurz bevor wir mit der Erhöhung der EZB-Leitzinsen beginnen.

Wir beabsichtigen, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des APP erworbenen Wertpapiere weiterhin bei Fälligkeit für längere Zeit über den Zeitpunkt hinaus, zu dem wir mit der Erhöhung der Leitzinsen beginnen, vollumfänglich wieder anzulegen und in jedem Fall so lange wie erforderlich, um günstige Liquiditätsbedingungen und eine umfangreiche geldpolitische Akkommodierung aufrechtzuerhalten.

Schließlich werden wir weiterhin reichlich Liquidität über unsere Refinanzierungsgeschäfte zur Verfügung stellen. Insbesondere stellt unsere dritte Serie gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte (GLRG III) nach wie vor eine attraktive Finanzierungsquelle für Banken dar, wodurch deren Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte unterstützt wird.

Gestatten Sie mir nun, unsere Einschätzung näher zu erläutern und dabei mit der wirtschaftlichen Analyse zu beginnen. Nach einem drastischen Rückgang in der ersten Jahreshälfte 2020 erholte sich das reale BIP im Euroraum im dritten Quartal kräftig und zog gegenüber dem Vorquartal um 12,4 % an. Es liegt jedoch nach wie vor deutlich unter dem vor der Pandemie verzeichneten Niveau. Die aktuellen Wirtschaftsdaten, Umfrageergebnisse und hochfrequenten Indikatoren deuten darauf hin, dass das Wiederaufflammen der Pandemie und die damit einhergehende Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen wahrscheinlich zu einem Konjunkturrückgang im vierten Quartal 2020 geführt haben. Diese Faktoren dürften die Wirtschaftstätigkeit auch im ersten Quartal 2021 belasten. Insgesamt deckt sich dies weitgehend mit dem aktuellen Basisszenario der gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom Dezember 2020.

Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft in den einzelnen Sektoren weiterhin sehr unterschiedlich: Der Dienstleistungssektor ist durch die neuen Einschränkungen der sozialen Kontakte und der Mobilität stärker beeinträchtigt als die Industrie. Obwohl private Haushalte und Unternehmen nach wie vor durch finanzpolitische Maßnahmen unterstützt werden, bleiben die Verbraucher angesichts der Pandemie und ihrer Auswirkungen auf Beschäftigung und Einkommen zurückhaltend. Darüber hinaus wirken sich die schwächeren Unternehmensbilanzen und die Unsicherheit über die Konjunkturaussichten weiterhin negativ auf die Unternehmensinvestitionen aus.

Mit Blick auf die Zukunft sorgt die Ende Dezember begonnene Bereitstellung von Impfstoffen für mehr Zuversicht, dass die Gesundheitskrise bewältigt werden kann. Es wird jedoch dauern, bis eine breite Immunität erreicht ist. Weitere Rückschläge im Zusammenhang mit der Pandemie sind nicht auszuschließen. Auf mittlere Sicht dürfte die Erholung der Wirtschaft des Euroraums durch günstige Finanzierungsbedingungen, einen expansiven finanzpolitischen Kurs und, sobald die Eindämmungsmaßnahmen gelockert werden und die Unsicherheit schwindet, eine Nachfrageerholung gestützt werden.

Die Risiken für die Wachstumsaussichten des Eurogebiets sind insgesamt noch immer abwärtsgerichtet, jedoch weniger stark. Die Nachrichten über die Aussichten für die Weltwirtschaft, das Abkommen über die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich und den Beginn der Impfkampagnen stimmen zwar optimistisch. Die anhaltende Pandemie und ihre Folgen für die Wirtschafts- und Finanzlage bergen jedoch weiterhin Abwärtsrisiken.

Die jährliche Teuerungsrate für das Eurogebiet belief sich im Dezember unverändert auf -0,3 %. Auf Grundlage der aktuellen Energiepreisentwicklung wird die Gesamtinflation in den kommenden Monaten wahrscheinlich steigen. Dazu wird auch das Auslaufen der vorübergehenden Mehrwertsteuersenkung in Deutschland beitragen. Der zugrunde liegende Preisdruck dürfte jedoch verhalten bleiben. Dies hängt mit der schwachen Nachfrage, vor allem im Tourismus- und Reisesektor, sowie mit einem geringen Lohndruck und dem Anstieg des Euro-Wechselkurses zusammen. Sobald der Einfluss der Pandemie nachlässt, wird eine Erholung der Nachfrage, unterstützt durch akkommodierende finanz- und geldpolitische Maßnahmen, mittelfristig Aufwärtsdruck auf die Inflation ausüben. Umfragebasierte Messgrößen und marktbasierte Indikatoren der längerfristigen Inflationserwartungen verharren auf niedrigem Niveau, wobei die marktbasierten Indikatoren der Inflationserwartungen leicht gestiegen sind.

Was die monetäre Analyse betrifft, so stieg die Jahreswachstumsrate der weit gefassten Geldmenge (M3) im November 2020 angesichts des anhaltenden Anstiegs der Einlagenbestände auf 11,0 %, nachdem sie im Oktober 10,5 % betragen hatte. Das starke Geldmengenwachstum wurde weiterhin unterstützt von den laufenden Ankäufen von Vermögenswerten durch das Eurosystem, die nach wie vor die größte Geldschöpfungsquelle darstellen. Vor dem Hintergrund einer weiterhin verstärkten Liquiditätspräferenz des geldhaltenden Sektors und geringer Opportunitätskosten für das Halten der liquidesten Formen von Geld leistete das eng gefasste Geldmengenaggregat M1 abermals den größten Beitrag zum Anstieg der weit gefassten Geldmenge.

Die Entwicklung der Buchkredite an den privaten Sektor war gekennzeichnet von einer moderaten Kreditvergabe an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften und einer robusten Kreditvergabe an private Haushalte. Die monatliche Kreditvergabe an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften blieb im November sehr gering, womit sich das seit Ende des Sommers beobachtete Muster fortsetzte. Zugleich blieb die Jahreswachstumsrate mit 6,9 % weitgehend unverändert, was den sehr kräftigen Anstieg der Kreditvergabe in der ersten Jahreshälfte widerspiegelt. Die Jahreswachstumsrate der Buchkredite an private Haushalte blieb bei umfangreichen monatlichen Zuflüssen im November mit 3,1 % weitgehend stabil.

Aus der Umfrage zum Kreditgeschäft für das vierte Quartal 2020 geht hervor, dass sich die Kreditrichtlinien für Unternehmen verschärft haben. Ursächlich für diese Verschärfung war vor allem die gestiegene Risikowahrnehmung von Banken in einem Umfeld anhaltender Unsicherheit über die wirtschaftliche Erholung und angesichts von Bedenken hinsichtlich der Bonität der Kreditnehmer. Zudem ist nach Angabe der befragten Banken die Kreditnachfrage von Unternehmen im vierten Quartal gesunken. Die Umfrage deutete auch darauf hin, dass die Nettonachfrage der privaten Haushalte nach Wohnungsbaukrediten im vierten Quartal trotz der weiteren Verschärfung der Kreditrichtlinien weiter zugenommen hat.

Zusammen mit den Maßnahmen, die von nationalen Regierungen und europäischen Institutionen beschlossen wurden, sind unsere geldpolitischen Maßnahmen weiterhin unerlässlich, um die Kreditvergabebedingungen und den Zugang zu Finanzmitteln zu unterstützen, vor allem für jene, die am stärksten von der Pandemie betroffen sind.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Gegenprüfung der Ergebnisse der wirtschaftlichen Analyse anhand der Signale aus der monetären Analyse bestätigte, dass eine umfangreiche geldpolitische Akkommodierung erforderlich ist, um die Wirtschaftsaktivität und eine deutliche Annäherung der Inflation an ein Niveau von unter, aber nahe 2 % auf mittlere Sicht zu unterstützen.

Was die Finanzpolitik betrifft, so bleibt angesichts des starken Konjunkturabschwungs im Euroraum ein ambitionierter und koordinierter finanzpolitischer Kurs erforderlich. Zu diesem Zweck ist eine anhaltende Unterstützung durch die nationale Finanzpolitik erforderlich, da die Nachfrage von Unternehmen und privaten Haushalten angesichts der Zuspitzung der Pandemie und der Verschärfung der Eindämmungsmaßnahmen schwach ist. Gleichzeitig sollten finanzpolitische Maßnahmen, die aufgrund der Pandemie ergriffen werden, weiterhin möglichst zielgerichtet und vorübergehend sein. Die drei Sicherheitsnetze für Arbeitnehmer, Unternehmen und Regierungen, die der Europäische Rat gebilligt hat, leisten eine wichtige Finanzierungsunterstützung.

Der EZB-Rat erkennt die zentrale Rolle des Pakets „NextGenerationEU“ an und betont, wie wichtig es ist, dessen Einsatzfähigkeit unverzüglich herzustellen. Er fordert die Mitgliedstaaten auf, den Ratifizierungsprozess zu beschleunigen, die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne zügig abzuschließen und die Mittel für produktive öffentliche Ausgaben einzusetzen, die mit strukturpolitischen Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung einhergehen. So könnte NextGenerationEU zu einer schnelleren, stärkeren und einheitlicheren Erholung beitragen, die wirtschaftliche Widerstandskraft und das Wachstumspotenzial in den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten erhöhen und so die Wirksamkeit der Geldpolitik im Euroraum unterstützen. Diese strukturpolitischen Maßnahmen sind vor allem wichtig, um seit Langem bestehende strukturelle und institutionelle Schwächen anzugehen und um den ökologischen und den digitalen Wandel zu beschleunigen.

Wir sind nun gerne bereit, Ihre Fragen zu beantworten.

Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.

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