Die EZB veröffentlicht ihren Konvergenzbericht 2010
Die Europäische Zentralbank (EZB) veröffentlicht heute ihren Konvergenzbericht 2010, eine Beurteilung der wirtschaftlichen und rechtlichen Konvergenz von neun Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU): Bulgarien, Tschechische Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Rumänien und Schweden. Der Bericht untersucht, ob in diesen Ländern ein hohes Maß an dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz erreicht worden ist. Weiterhin wird in ihm geprüft, ob die rechtlichen Anforderungen eingehalten werden, die erfüllt werden müssen, damit die nationalen Zentralbanken integraler Bestandteil des Eurosystems werden können (rechtliche Konvergenz).
Insgesamt kommt der Bericht zu dem Schluss, dass in vielen Ländern wichtige Herausforderungen ins Blickfeld gerückt sind. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit zuvor entstandenen Ungleichgewichten und Anfälligkeiten, die in den vergangenen Jahren zu einem tiefgreifenden Anpassungsprozess geführt haben. Das durch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise in Mitleidenschaft gezogene reale BIP brach in den meisten untersuchten Ländern ein oder war stark rückläufig. Während diese Konjunkturabschwächung sowie externe Faktoren inflationsdämpfend wirkten, verschlechterte sich die Lage der öffentlichen Finanzen erheblich, und die länderspezifischen Risikoprämien, welche sich in den Langfristzinsen widerspiegeln, erhöhten sich merklich.
Bezüglich der einzelnen Konvergenzkriterien kommt der diesjährige Konvergenzbericht zu den folgenden Ergebnissen:
Preisstabilität
Im zwölfmonatigen Referenzzeitraum von April 2009 bis März 2010 wurden in der EU aufgrund negativer globaler Preisschocks und der in den meisten Staaten eingetretenen deutlichen Konjunkturabkühlung sehr niedrige Inflationsraten verzeichnet. Dementsprechend betrug der Referenzwert für das Preisstabilitätskriterium 1,0 %. Er wurde berechnet, indem zum ungewichteten arithmetischen Mittel der in diesen zwölf Monaten gemessenen HVPI-Inflationsraten von Portugal (‑0,8 %), Estland (-0,7 %) und Belgien (-0,1 %) 1,5 Prozentpunkte addiert wurden. In Irland fiel die Teuerung nach dem HVPI aufgrund einer Reihe länderspezifischer Faktoren deutlich niedriger aus. Im Einklang mit dem bei vorherigen Berichten verfolgten Ansatz wurde die Preisentwicklung in Irland als Ausnahme betrachtet und daher bei der Berechnung des Referenzwerts nicht berücksichtigt. Im Beobachtungszeitraum lagen die durchschnittlichen HVPI-Inflationsraten in der Tschechischen Republik, Estland und Lettland unterhalb des Referenzwerts. In den sechs übrigen Ländern überschritt die Inflation den Referenzwert, wobei in Rumänien, Ungarn und Polen die größten Abweichungen verzeichnet wurden.
Öffentliche Finanzen
Seit dem Konvergenzbericht 2008 hat sich die Haushaltslage in der Mehrheit der Länder vor allem aufgrund der deutlichen Konjunktureintrübung stark verschlechtert. In Bulgarien, der Tschechischen Republik, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen und Rumänien lag das Haushaltsdefizit im Jahr 2009 oberhalb des Referenzwerts von 3 %. Die Europäische Kommission leitet derzeit ein Defizitverfahren gegen Bulgarien ein, und in Bezug auf die übrigen angeführten Länder liegt ein Beschluss des Rates vor, wonach in diesen Staaten ein übermäßiges Defizit besteht. Lediglich die Haushaltsdefizite Estlands und Schwedens lagen 2009 unter dieser Obergrenze.
Was den öffentlichen Schuldenstand betrifft, so lag 2009 nur die Schuldenquote Ungarns oberhalb des Referenzwerts von 60 % des BIP. Die Schuldenquoten der übrigen Länder waren niedriger, wenngleich sie in allen neun untersuchten Staaten – in einigen Fällen deutlich – stiegen.
Wechselkurs
Von den im aktuellen Konvergenzbericht untersuchten Ländern sind gegenwärtig Estland, Lettland und Litauen Mitglieder des Wechselkursmechanismus II (WKM II). Die Währungen dieser Mitgliedstaaten haben vor der Konvergenzprüfung bereits seit über zwei Jahren am WKM II teilgenommen, und keiner ihrer Leitkurse wurde im Betrachtungszeitraum abgewertet. Allerdings kam es im Rahmen des WKM II im Zusammenhang mit dem lettischen Lats mehrfach zu starken Spannungen an den Märkten.
Langfristiger Zinssatz
Im zwölfmonatigen Referenzzeitraum von April 2009 bis März 2010 betrug der Referenzwert für den langfristigen Zinssatz 6,0 %. Da für Estland kein harmonisierter Langfristzins vorliegt, wurde dieser Wert ermittelt, indem zum ungewichteten arithmetischen Mittel der langfristigen Zinssätze der beiden anderen EU-Länder, die über einen harmonisierten langfristigen Zinssatz verfügen und zur Berechnung des Referenzwerts für das Kriterium der Preisstabilität herangezogen wurden – nämlich Belgien (3,8 %) und Portugal (4,2 %) –, 2 Prozentpunkte addiert wurden. Nur die Tschechische Republik und Schweden verzeichneten im Referenzzeitraum im Durchschnitt langfristige Zinssätze unterhalb des Referenzwerts.
Estland
Estland wird im vorliegenden Bericht einer etwas ausführlicheren Prüfung unterzogen als die anderen untersuchten Länder. Grund hierfür ist, dass das Land laut Aussage der estnischen Behörden beabsichtigt, den Euro zum 1. Januar 2011 einzuführen. Der Konvergenzbericht 2010 kommt im Hinblick auf Estland zu folgendem Ergebnis:
Im Referenzzeitraum von April 2009 bis März 2010 betrug der Zwölfmonatsdurchschnitt der am HVPI gemessenen Inflationsrate in Estland -0,7 % und lag somit deutlich unterhalb des Referenzwerts für das Preisstabilitätskriterium von 1,0 %. Auf Grundlage der neuesten Informationen ist davon auszugehen, dass der Zwölfmonatsdurchschnitt der HVPI-Inflationsrate in den kommenden Monaten steigen wird.
In der derzeit niedrigen Teuerungsrate Estlands kommen vor allem temporäre Faktoren wie der laufende gravierende wirtschaftliche Anpassungsprozess zum Ausdruck, aufgrund dessen das reale BIP im Jahr 2009 nach einer langen Zeit, während der sich erhebliche gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte und Anfälligkeiten aufgebaut hatten, um 14,1 % zurückging. Darüber hinaus zeigt die gegenwärtige Abwesenheit eines Inflationsdrucks in der estnischen Wirtschaft auf, dass es für eine Volkswirtschaft mit festen Wechselkursen notwendig ist, frühere Verluste im Hinblick auf die Wettbewerbsposition auszugleichen. Wenn die Anpassungsphase vorüber ist, wird die Wahrung niedriger Inflationsraten aufgrund des eingeschränkten geldpolitischen Handlungsspielraums eine große Herausforderung darstellen. Der Aufholprozess dürfte die Teuerung in den kommenden Jahren beeinflussen, da das Pro‑Kopf-BIP und das Preisniveau in Estland nach wie vor niedriger sind als im Euroraum. Sobald sich wieder ein Produktionswachstum einstellt, dürfte sich der zugrunde liegende reale Aufwertungstrend aufgrund des festen Wechselkursregimes in höheren Inflationsraten niederschlagen. Angesichts der bestehenden Currency-Board-Regelung und nur begrenzt verfügbarer alternativer antizyklischer Instrumente könnte es schwierig sein, die Entstehung neuer gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte, darunter hohe Inflationsraten, zu verhindern. Die in den letzten Jahren mit dem kräftigen Wachstum gesammelten Erfahrungen zeigen die Herausforderungen auf, vor denen die estnischen Behörden bei der Erreichung von Preisstabilität stehen, da eine unabhängige Geldpolitik praktisch nicht vorhanden ist. Insgesamt ist festzustellen, dass Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Inflationskonvergenz in Estland bestehen.
Es liegt kein Beschluss des EU-Rates vor, wonach in Estland ein übermäßiges Defizit besteht. Im Referenzjahr 2009 belief sich das Haushaltsdefizit auf 1,7 % des BIP und damit auf einen Stand merklich unterhalb des Referenzwerts. Die öffentliche Schuldenquote betrug 7,2 % des BIP und lag somit weit unter dem Referenzwert von 60 %.
Vor der Prüfung der Konvergenz hat die estnische Krone über zwei Jahre lang am WKM II teilgenommen. Estland trat dem Wechselkursmechanismus mit seiner bisherigen Currency‑Board‑Regelung im Rahmen einer einseitigen Bindung bei. Im Berichtszeitraum blieb die Krone stabil und wies keine Abweichung von ihrem WKM-II-Leitkurs zum Euro auf, was auf die unveränderte Wechselkurspolitik Estlands unter dem Currency-Board-Regime zurückzuführen ist. Darüber hinaus hat Estland den Leitkurs seiner Währung zum Euro im WKM II nicht von sich aus abgewertet.
Das estnische Finanzsystem ist durch das Fehlen eines gut entwickelten Markts für auf estnische Kronen lautende langfristige Schuldverschreibungen gekennzeichnet, was die geringe Staatsverschuldung und die weitverbreitete Nutzung des Euro widerspiegelt. In diesem Zusammenhang ist es nicht möglich, einen Indikator zu bestimmen, der mit langfristigen Staatsanleihenrenditen vergleichbar wäre oder diese ersetzen könnte, was die Beurteilung der Nachhaltigkeit der Konvergenz in Estland erschwert. Vor diesem Hintergrund wurde eine umfassende Analyse der Finanzmärkte vorgenommen, bei der verschiedene relevante Indikatoren berücksichtigt wurden. Insgesamt legt die Entwicklung an den Finanzmärkten im Referenzzeitraum eine uneinheitliche Beurteilung nahe. Einer Reihe von Indikatoren zufolge hatten die Marktteilnehmer erhebliche Bedenken im Hinblick auf die Nachhaltigkeit der Konvergenz in Estland. Diese Bedenken waren auf dem Höhepunkt der globalen Krise besonders stark ausgeprägt. Ab Ende 2009 trugen ein Rückgang der weltweiten Risikoaversion, die Entwicklung der öffentlichen Finanzen und die Einschätzung der Marktteilnehmer hinsichtlich der Aussichten Estlands auf die Einführung des Euro dazu bei, dass der Druck an den Märkten nachließ.
Um in Estland ein der Konvergenz auf Dauer förderliches Umfeld zu schaffen, bedarf es der Durchführung einer auf die Gewährleistung gesamtwirtschaftlicher Stabilität, einschließlich dauerhafter Preisstabilität, ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Angesichts des durch die Currency-Board-Regelung begrenzten geldpolitischen Handlungsspielraums sind andere Politikbereiche gefordert, die Volkswirtschaft mit den notwendigen Mitteln auszustatten, um länderspezifische Schocks bewältigen und ein Wiederauftreten gesamtwirtschaftlicher Ungleichgewichte verhindern zu können.
Rechtliche Konvergenz
Am 12. März 2010, dem Datum, bis zu dem Änderungen der im Konvergenzbericht 2010 beurteilten Rechtsvorschriften berücksichtigt wurden, stand der Rechtsrahmen der neun untersuchten Länder nicht vollständig mit allen Anforderungen im Hinblick auf die Einführung des Euro im Einklang, die in den Verträgen sowie der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB festgelegt sind. Das estnische Parlament verabschiedete jedoch am 22. April 2010 das Gesetz über die Einführung des Euro, mit dem die in Estland noch vorhandenen Unvereinbarkeiten beseitigt wurden. In allen übrigen untersuchten Ländern bestehen weiterhin Unvereinbarkeiten im Hinblick auf die Zentralbankunabhängigkeit, die insbesondere die institutionelle, personelle und finanzielle Unabhängigkeit von Zentralbanken betreffen. Außerdem bestehen – mit Ausnahme Litauens – in allen untersuchten Ländern Unvereinbarkeiten im Hinblick auf das Verbot der monetären Finanzierung sowie die rechtliche Integration der jeweiligen Zentralbank in das Eurosystem.
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Mit der Vorlage dieses Berichts erfüllt die EZB die Vorgabe von Artikel 140 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wonach sie dem Rat der Europäischen Union mindestens alle zwei Jahre bzw. auf Antrag eines Mitgliedstaats, für den eine Ausnahmeregelung gilt, berichtet, „inwieweit die Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, bei der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion ihren Verpflichtungen bereits nachgekommen sind“.
Derzeit nehmen elf EU-Mitgliedstaaten noch nicht voll an der Wirtschafts- und Währungsunion teil. Zwei dieser Länder, nämlich Dänemark und das Vereinigte Königreich, verfügen im Einklang mit den Bedingungen der entsprechenden Protokolle, die den Verträgen beigefügt sind, über einen Sonderstatus. Folglich müssen Konvergenzberichte für diese beiden Mitgliedstaaten nur auf deren Antrag vorgelegt werden.
Der Konvergenzbericht 2010 kann in 21 Amtssprachen der EU auf der Website der EZB abgerufen werden.
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