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Christine Lagarde
The President of the European Central Bank
  • INTERVIEW

In Gedenken an Wolfgang Schäuble, Beitrag für DIE ZEIT

In Gedenken an Wolfgang Schäuble, Beitrag für DIE ZEIT von Christine Lagarde, Präsidentin der EZB

3. Januar 2024

Wenn ich an Wolfgang Schäuble denke, kommt mir als Erstes in den Sinn, wie er mir am Tisch des französischen Regierungskabinetts im Élysée-Palast gegenübersitzt. Er war der erste deutsche Finanzminister, der an einer solchen Sitzung teilnahm. Und ich sehe ihn in Brüssel am Verhandlungstisch sitzen, bei einer der zahlreichen Sitzungen, die bis tief in die Nacht dauerten. Ich höre noch seine Stimme: die Stimme eines Mannes, der stets klare Worte fand und schwierigen Entscheidungen nicht aus dem Weg ging. Ich erinnere mich an einen Staatsdiener par excellence. An einen Meister der Diplomatie, der es verstand, sich in Andersdenkende hineinzuversetzen. Ich sehe einen geborenen Staatsmann vor mir, der mutig zu seinen Überzeugungen stand und gleichzeitig den Pragmatismus besaß, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Und ich sehe einen loyalen und wohlwollenden Mann. 

Mein guter Freund und geschätzter Kollege ist tot. Sein Tod erfüllt mich mit großer Trauer, und ich möchte seiner Familie mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Und doch finde ich Trost im Gedanken an seine herausragenden Verdienste um das Projekt Europa. Dabei fallen mir seine Worte ein, in denen so klar zum Ausdruck kommt, dass er sich sowohl Deutschland als auch Europa verpflichtet fühlte: „Wenn eine Lösung für Europa gut ist, ist sie gut für Deutschland. Und wenn etwas für Europa schlecht ist, kann es nicht gut für Deutschland sein.“

Nicht viele haben über einen so langen Zeitraum so viel für Deutschland und Europa getan wie Wolfgang, der sich mehr als ein halbes Jahrhundert in den Dienst seines Landes stellte.

Als Innenminister stand er bei der Wiedervereinigung im Zentrum des Geschehens. Die Wiedervereinigung bedeutete für Deutschland und für ganz Europa eine tiefgreifende Veränderung. Dabei war großes Fingerspitzengefühl gefragt, weckte sie in den Nachbarländern aufgrund der deutschen Geschichte doch teils gemischte Gefühle.

Wolfgang war überzeugt, dass Deutschland seine Verantwortung gegenüber Europa am besten unter Beweis stellen konnte, indem es mit seinen Nachbarn die Währung teilte. Für ein Land, das so stolz auf seine Deutsche Mark war, war dies ein großer Schritt. Doch Wolfgang war sich sicher, dass eine gemeinsame Währung Europa enger zusammenschweißen und den Binnenmarkt vor dem Risiko eines Abwertungswettlaufs schützen würde. Dies lag im Interesse Deutschlands wie Europas.

Als die Staatsschuldenkrise über Europa hereinbrach, erinnerte Wolfgang besonnen daran, dass der Euro weit mehr ist als eine Währung. Er war ein unbeirrbarer und entschiedener Verfechter Europas. Er war aber auch selbstkritisch und fragte sich im Nachhinein oft, wie man die Dinge anders und vielleicht weniger schmerzhaft hätte regeln können.

Wolfgangs intellektuelle Brillanz zeigte sich darin, dass er sowohl die Finesse eines Diplomaten als auch die Akribie eines Juristen besaß. Dadurch kam ihm in den 1990er-Jahren eine tragende Rolle zu, als es um die weitere Vertiefung der europäischen Integration ging. 

Im aktuellen schwierigen Umfeld, in dem teils extreme Ansichten aufeinandertreffen, könnten wir Wolfgangs staatsmännisches Geschick gut gebrauchen. Sein Erfolg gründete sich nicht auf energischem Auftreten, sondern auf seiner Fähigkeit, Konsens herbeizuführen. Davon haben sowohl Deutschland als auch Europa profitiert.

Für mich hat Wolfgang stets nach dem Grundsatz gelebt: Bleib dir selbst und deinen demokratischen Institutionen treu. Daran sollten wir uns nun erinnern, wenn wir an ihn denken.

Ich werde meinen guten Freund vermissen. Und die Blumen, die er mir viele Jahre lang zum Geburtstag geschickt hat.

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