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Isabel Schnabel
Member of the ECB's Executive Board
  • INTERVIEW

Interview mit Süddeutsche Zeitung

Interview mit Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, geführt von Meike Schreiber und Markus Zydra am 18. Dezember

22. Dezember 2023

Die Inflation ist zuletzt auf 2,4 % gesunken, schneller als erwartet. Spüren Sie Genugtuung?

Wir sind erst zufrieden, wenn die Inflation nachhaltig auf 2 % fällt. Wir gehen im Moment davon aus, dass sie kurzzeitig wieder leicht ansteigen dürfte, weil sich sogenannte Basiseffekte bei den Energiepreisen umkehren und staatliche Stützungsmaßnahmen auslaufen, in Deutschland etwa die Gaspreisbremse und die Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie. Wir erwarten, dass die Inflation danach schrittweise bis 2025 auf 2 % sinkt. Wir haben also noch ein Stück des Weges vor uns und müssen sehen, wie schwierig die berühmte letzte Meile wird.

Die letzte Meile wollen Sie aber gehen?

Die müssen wir gehen. Wir haben ein Inflationsziel von 2 %.

2,1 % wären nicht genug?

Wir wollen nachhaltig zu 2 % zurückkehren.

Es herrscht Krieg in der Ukraine und im Gazastreifen. Wie stark beeinflussen globale Krisen die Arbeit der Notenbank?

Geopolitische Schocks führen zu Unsicherheit und haben daher Auswirkungen auf ökonomische Entscheidungen. Zugleich können sie steigende Energiepreise zur Folge haben. Weiterhin kann es Auswirkungen auf den Welthandel geben, weil Lieferketten gestört werden – das sehen wir gerade im Roten Meer. Die Geopolitik kann auch die grüne Transformation beeinflussen, wenn Rohstoffe, die für die Produktion von Solarzellen oder Batterien verwendet werden, aus politischen Gründen verknappt werden. All das hat Auswirkungen auf unser Kerngeschäft, die Inflationsbekämpfung.

Ihre Leitzinsentscheidungen sind „datengetrieben“, wie Sie immer betonen. Was bringen ihnen Vergangenheitsdaten, wenn sich die Weltlage wie derzeit ständig grundlegend verändert?

Historische Daten sind wertvoll, weil man aus ihnen Regelmäßigkeiten ableiten kann. Aber die Welt kann sich sehr schnell ändern. Dann muss man seine Analysen anpassen, ohne dabei das historische Wissen über Bord zu werfen. Das makroökonomische Umfeld hat sich in den letzten Jahren in der Tat fundamental verändert. Wir kamen aus einer langen Phase niedriger Inflation und sind dann in kürzester Zeit durch Pandemie und russischen Angriffskrieg in eine vollkommen neue Welt mit rasant steigender Inflation geraten. Da hilft uns die Betrachtung der Niedrigzinsphase wenig. Aber die Analyse der Inflationszeit der 1970er-Jahre kann helfen, Lehren zu ziehen, wie wir heute reagieren sollten.

In den letzten Jahrzehnten war die Inflation ja sehr niedrig. War das hauptsächlich der guten Geldpolitik der Notenbanken geschuldet? Oder war da nicht auch eine Portion Glück dabei, aufgrund der Globalisierung beispielsweise?

Es war beides. Nach der großen Inflation der 1970er-Jahre hat sich die Geldpolitik grundlegend verändert. Die Zentralbanken sind unabhängiger geworden und haben ein klareres Mandat, die Preisstabilität. Das hat die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik erhöht. Aber es gab auch makroökonomische Trends, insbesondere die Globalisierung und den Eintritt Chinas in den Weltmarkt, die eine ganz wichtige Rolle gespielt haben und die Inflation gesenkt haben.

Ist der Kampf um stabile Preise schwieriger geworden?

Seit 2020 gab es mehrere schwere externe Schocks. Das macht die Geldpolitik schwieriger.

Wird die Inflation in Zukunft höher sein als früher?

Zunächst einmal kann ich Ihnen versichern: Wir haben nicht die geringste Absicht, unser Inflationsziel von 2 % anzutasten. Zugleich müssen wir vermehrt mit angebotsseitigen Schocks rechnen. Und diese könnten eher inflationär wirken, auch wenn sich das schwer vorhersagen lässt. Der Klimawandel zum Beispiel treibt die Preise, das sehen wir schon jetzt. Extremwetter kann die Lebensmittelpreise erhöhen, Niedrigwasser im Panamakanal die Transportkosten, CO2-Steuern die Preise fossiler Energieträger. Auch ein teilweiser Rückzug aus globalen Lieferketten kann die Inflation erhöhen. Es gibt aber auch gegenläufige Effekte wie den Vormarsch der künstlichen Intelligenz. Dieser kann das Produktivitätswachstum fördern und daher die Inflation dämpfen.

Als Sie 2020 im Direktorium anfingen, wollten Sie das angekratzte Verhältnis der Deutschen zur EZB kitten. Haben Sie das geschafft?

Die entschiedene Inflationsbekämpfung hat vermutlich dazu beigetragen, dass sich die Deutschen mit der EZB etwas ausgesöhnt haben. Es ist uns dadurch gelungen, die Glaubwürdigkeit der EZB zu stärken.

Aber die EZB hat doch zu spät gehandelt im Kampf gegen die Inflation. Das haben viele Bürger nicht vergessen.

Wir haben relativ spät gehandelt, aber dafür umso entschlossener. Wir haben die Zinsen in kurzer Zeit sehr stark erhöht, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Rückgang der Inflation teilweise auf die Geldpolitik zurückgeht. Ursache für die Inflation waren zunächst ein Anstieg der Energiepreise und eine Störung der Lieferketten durch Pandemie und Krieg. Diese haben das gesamtwirtschaftliche Angebot eingeschränkt, während die Nachfrage robust blieb. In einer solchen Situation ist eine entschlossene Geldpolitik essenziell, um die Nachfrage zu dämpfen und die Inflationserwartungen zu verankern. Das ist uns gelungen. Es ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass die Zentralbank die Inflation auf ihr Ziel von 2 % zurückbringen wird.

Die Inflation ist gesunken, aber die höheren Preise belasten die Bürger immer noch.

Natürlich sind die Preise immer noch höher als vor der Pandemie. Diesen Preisanstieg kann die Geldpolitik nicht ungeschehen machen. Es wäre den Menschen ja nicht geholfen, wenn wir die Wirtschaft in eine jahrelange tiefe Rezession stürzen würden, nur um die Preise wieder auf das alte Niveau zurückzubringen.

Würden Sie das schaffen?

Nur mit enormen Folgen, aber das ist nicht Aufgabe der Geldpolitik. Ein Energiepreisschock macht eine Volkswirtschaft, die netto Energie importiert, insgesamt ärmer. Dieser Verlust muss von irgendjemandem getragen werden.

Wenn Ihr Ziel von 2 % Inflation erreicht ist: Besteht die Gefahr, dass dann in Vergessenheit gerät, dass das hohe Preisniveau gewissermaßen zementiert ist?

Wir steuern die Inflation, nicht das Preisniveau. Wir hatten auch nie das Ziel, die zu niedrigen Inflationsraten aus der Vergangenheit durch höhere in der Zukunft auszugleichen.

Die schnellen und starken Leitzinserhöhungen haben dazu geführt, dass Banken plötzlich Rekordgewinne machen. Ist das gerecht?

Unsere Entscheidungen orientieren sich am Mandat der Preisstabilität. Und sie haben Nebenwirkungen, zum Beispiel auf die Gewinne von Banken. Die Banken haben Kredite zu höheren Zinsen vergeben, aber sie haben die Zinserhöhungen nur teilweise und mit Verzögerung an ihre Einleger weitergegeben. Wir gehen aber davon aus, dass die Bankgewinne in Zukunft stärker unter Druck geraten werden, weil die Finanzierungskosten der Banken und die Kreditausfallrisiken steigen, während die Kreditvergabe abflaut. Deshalb wären die Banken gut beraten, die kurzfristigen Gewinne zu nutzen, um Verlustpuffer für die Zukunft zu schaffen.

Das machen sie aber eher nicht, sondern bezahlen lieber Dividenden aus.

Vorsicht walten zu lassen wäre seitens der Banken sicher kein Fehler.

Die hohen Gewinne der Banken speisen sich auch aus dem Einlagezins auf ihre sogenannten Überschussreserven in Höhe von 4 %. Die Notenbank könnte diese Reserven verringern, indem sie die Mindestreserve erhöht. Warum geschieht das nicht?

Im Juli haben wir beschlossen, die Mindestreserve nicht mehr zu verzinsen, aber bei 1 % der Mindestreservebasis zu belassen, die vor allem aus Kundeneinlagen besteht. Tatsächlich ist die Mindestreserve kein zielsicheres Instrument, um die Verzinsung der Überschussreserven zu kompensieren. Großbanken haben die höchsten Überschussreserven, die kleinen Geldhäuser haben davon weniger. Gleichzeitig refinanzieren sich die kleineren Banken überwiegend durch Einlagen. Sie wären daher überproportional von einer höheren Mindestreserve betroffen.

Ergo werden Großbanken durch den Einlagezins subventioniert, weil viele kleine Institute nur geringe verzinsbare Überschüsse haben.

Eine Subventionierung von Banken findet nicht statt. Aber es gibt unterschiedliche Auswirkungen unserer Maßnahmen. Die EZB hat zum Beispiel in der Pandemie längerfristige Kredite vergeben, von denen kleinere Institute stark profitiert haben. Gleichzeitig mussten Banken auf ihre Überschussreserven bis vor Kurzem noch einen Negativzins bezahlen, das betraf eher die großen Banken. Eine systematische Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Bankengruppen findet nicht statt. Alle Banken sind für die Übertragung der Geldpolitik wichtig.

Die EZB könnte die vielen Staatsanleihen verkaufen, dann würde sich das Problem mit den Überschüssen von selbst lösen.

Bereits jetzt ist die Zentralbankbilanz spürbar gesunken. Das wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen und damit fallen auch die Überschussreserven. Unser Hauptinstrument für die Geldpolitik sind aber die Leitzinsen. Der Abbau der Bilanz läuft schrittweise im Hintergrund, auch um Marktturbulenzen zu vermeiden. Wir erwarten diese zwar nicht, aber es lohnt sich nicht, ein Risiko eingehen.

Die EZB macht jetzt Verluste, weil sie hohe Zinsen an die Banken zahlen muss und zugleich niedrig verzinste Anleihen in der Bilanz hat. Eine Notenbank, die Miese macht, das sieht nicht gut aus.

Unsere Anleihekäufe waren immer geldpolitisch begründet. Nehmen Sie das Beispiel des Ankaufprogramms in der Corona-Pandemie. Mit dieser Maßnahme haben wir vermutlich eine schwere Finanzkrise verhindert, die ansonsten massiven Schaden für die Volkswirtschaft und die Menschen angerichtet hätte. Man darf die Verluste der EZB nicht isoliert betrachten.

Aber dem Ruf schadet es schon.

Wir überprüfen immer die Verhältnismäßigkeit unserer Maßnahmen, denn Verluste können die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der Zentralbank beeinträchtigen. Das könnte in Zukunft zu einer gewissen Neubewertung von Anleihekäufen führen.

Wie bewerten Sie die Anleihekäufe der EZB?

Man muss unterscheiden: Zum einen sind Anleihekäufe ein Instrument, um Preisstabilität zu gewährleisten, zum anderen sind sie ein Instrument zur Marktstabilisierung. Bei der Stabilisierung der Finanzmärkte war das Instrument sehr erfolgreich. Doch man kann sich die Frage stellen, wie effektiv die Anleihekäufe bei der Bekämpfung der Niedriginflation waren. Ein Problem war die damals sehr restriktive Fiskalpolitik. Die Staaten haben die niedrigen Zinsen nicht für Investitionen genutzt. Das hat der Geldpolitik das Leben schwer gemacht. Die Lehre ist also, dass Geld- und Fiskalpolitik an einem Strang ziehen müssen.

Als Sie 2020 zur EZB kamen, war die Inflation niedrig, der Leitzins unter null und die Notenbanken machten noch Gewinn. Jetzt ist alles anders. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich habe gelernt, dass sich die Welt viel schneller ändern kann, als man es erwartet. Die Zentralbank muss in diesen Situationen rasch reagieren, das ist eine Herausforderung. Aber ich denke, wir haben das in den vergangenen vier Jahren recht gut gemacht.

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